Deutschexkursion der Klasse 11b nach Wolfenbüttel

Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, 05.06.2008. Die Klasse 11b verbrachte ihre letzte Exkursion des Schuljahres im kleinen Residenzstädtchen Wolfenbüttel, um auf den Spuren Gotthold Ephraim Lessings zu wandeln und dabei der größten und bedeutendsten Literatursammlung Europas gegenüberzustehen.

Die Herzog-August-Bibliothek, in der Lessing von 1777 bis 1781 als Bibliothekar angestellt war, bietet heute rund einer Million Büchern und Handschriften sowie See- und Landkarten, Globen, Noten und so genannten Malerbüchern ein Zuhause – unter anderem auch dem teuersten Buch der Welt, dem Evangeliar Heinrichs des Löwen, das 1983 für 32,5 Mio Mark ersteigert wurde, um dann in der Herzog-August-Bibliothek untergebracht zu werden.

Lessinghaus Im benachbarten Lessinghaus – seinem damaligen Wohnhaus – findet man Informationen zu Lessings Wirkungszeit als Bibliothekar in Wolfenbüttel. Hier vollendete er zum Beispiel das Drama „Emilia Galotti“ und verfasste auch kurz vor seinem Tode „Nathan der Weise“, dessen Uraufführung er selbst schon nicht mehr erlebte.

Die Altstadt Wolfenbüttels reizt mit malerischen Fachwerkhäusern und der imposanten Haupt- bzw. Marienkirche, in welcher der Hofkapellmeister Michael Praetorius unterhalb der Orgel bestattet ist.

1. Akt: Eine Klasse auf dem Weg zu gebildeten Menschen

Ganze drei Stunden waren wir mit dem Zug unterwegs, bevor wir uns an der geballten Ladung Kultur und Geschichte in Form von Vortrag und späterer Anschauung der wichtigen Gebäude der Wolfenbütteler Altstadt sowie verschriftlichtem Wissen in Form einer enormen Anzahl alter Bücher erfreuen konnten.

Glücklicherweise blieben die befürchteten Regenschauer aus, sodass wir unsere letzte Exkursion dieses Schuljahres – und damit auch die letzte im Klassenverband mit unserem Klassenlehrer Herrn Fabritz und Frau Hülk als begleitender Lehrkraft – bei strahlendem Sonnenschein und angenehm sommerlichen Temperaturen genießen konnten.

Um 11.20 Uhr begann unsere ca. zweistündige Führung durch die Herzog-August-Bibliothek und anschließend durch das Lessinghaus mit Frau Ziege. Der erste Eindruck, den die Bibliothek erweckt, ist der einer pompösen Empfangshalle. Ausgestattet mit einer goldverzierten Stuckdecke über dem Treppenaufgang, kann dann die Augusteerhalle mit roten Marmorsäulen und Gemälden unter dem Deckengewölbe aufwarten. Das beeindruckendste sind jedoch – wie könnte es anders sein – die zum Teil hinter Glas gelagerten mit einheitlichen Einbänden versehenen Bücher mit ihren ausgeblichenen Buchrücken. Doch zunächst gab es etwas zur Geschichte der Bibliothek und ihrem Bestand zu erfahren, was ich geneigtem Leser auf keinen Fall vorenthalten möchte.

2. Akt: Die Geschichte der Bibliothek

Seit dem Jahr 1925 trägt die Bibliothek den Namen Herzog-August-Bibliothek. Zuvor (und in Fachkreisen heute auch noch) war der Name Herzogliche Bibliothek gebräuchlich, welcher auch etwas genauer die tatsächliche Entstehung der Bibliothek widerspiegelt, denn der Bestand wurde immer vom jeweiligen, an Literatur interessierten Herzog gepflegt und erweitert. Grob gefasst spricht man jedoch von zwei Gründungsphasen:

Die erste begann Anfang des 16. Jahrhunderts, zur Zeit der Reformation, als Heinrich der Jüngere (Heinrich II., 1489 - 1568, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg und Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel) Herzog war und anfing, Bücher für seine eigene Bildung zu sammeln. Sein Sohn Julius öffnete die Bibliothek dann auch für die „Öffentlichkeit“, also genau genommen für diejenigen, die des Lateinischen mächtig waren. Von ihm stammt auch die erste dokumentierte Bibliotheksordnung. Eine Generation später, zu Zeiten von Herzog Heinrich Julius, wurde die Universität Helmstedt gegründet, was zur Folge hatte, dass gegen Anfang des 17. Jahrhunderts fast der komplette Bestand zu besagter Universität wechselte, um dort als Forschungs- und Unterrichtsmaterial zu dienen. Um 1810 wurde die Universität allerdings wieder geschlossen und Bücher und Handschriften kehrten nach Wolfenbüttel zurück.

Aus der zweiten Phase der Gründung geht der heutige Name der Bibliothek hervor. Sie beginnt mit dem Regierungsantritt Herzog Augusts (August der Jüngere, 1579 - 1666 ) im Jahre 1634. Als äußert sprachbegabter und gebildeter Mann war es schon seit seiner Jugend sein Hobby, unterschiedlichste und erlesenste Literatur zu sammeln. (Seine zweite Leidenschaft war die Pferdezucht, was sich auch im Bild und der Geschichte der Bibliothek zeigt: Zu seiner Regierungszeit waren im Erdgeschoss der Bibliothek Stallungen untergebracht.) Für ihn arbeiteten so genannte Bücheragenten, die für ihn überall in Europa Bücher auftrieben und erwarben.

Herzog August war der Erste, der die Bücher ordnete. Dies tat er jedoch nicht alphabetisch, wie man meinen könnte, sondern chronologisch und nach Themen. Innerhalb eines Themengebietes standen die Bücher also, nach Größe bzw. Gewicht sortiert und in der Reihenfolge, in der er sie bekam. Erstaunlicherweise tun sie das heute immer noch.

Aber Herzog August leistete noch viel mehr für die Pflege und den Ausbau der Bibliothek. Sein hofeigener Buchbinder sorgte für einheitliche Einbände der Werke und August selbst beschriftete sie anschließend. Außerdem ließ er ein Bücherrad bauen, auf dem mehrere Kataloge lagen, in welche er selbst jedes neue Buch mit Standort und kleiner Inhaltsangabe eintrug.

Als er starb, war die Bibliothek mittlerweile die drittgrößte Europas nach der des Vatikans und der Wiener Hofbibliothek: Sie umfasste 135.000 Bücher in 35.000 Bänden. In seinem Testament vermerkte Herzog August ausdrücklich, dass die gesammelten Bücher für immer in Wolfenbüttel bleiben sollten. Nur so ist zu erklären, dass die Bibliothek auch nach seinem Tod weitergeführt und ihr Bestand nicht veräußert wurde.

Nach Herzog August waren es dann Bibliothekare, die der Bibliothek zu weiterem und neuem Ruhm verhalfen. Unter ihnen selbstverständlich Lessing, von dessen Wirken an späterer Stelle noch berichtet wird, aber auch Leibniz, der erste moderne Bibliothekar. Er sorgte für die Einführung eines alphabetischen Karteikartenkatalogs. In dieser Zeit wurde die „Wolfenbütteler Rotunde“ gebaut, das erste Gebäude, das ausschließlich und von Anfang an den Zweck einer Bibliothek erfüllte (zuvor befanden sich die Bücher im Schloss) – leider jedoch auf morastigem und nicht ausreichend trockengelegtem Untergrund, sodass die Rotunde ca. 170 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme im Jahre 1710 1880 wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Deshalb entstand in den Jahren zwischen 1883 und 1887 das neue Gebäude im Stil eines florentinischen Palazzo, wie man es heute noch vorfindet.

Bereits zu Lessings Leb- und Arbeitszeiten zeichnete sich eine längere Durststrecke für die Bibliothek ab, als der Hof 1753 nach Braunschweig zog. So kam es, dass sie an Popularität verlor, woran auch die Umgestaltung nichts ändern konnte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie unter Leitung von Erhart Kästner 1960 wieder hergerichtet und um den Themenbereich der Malerbücher erweitert.

Zum Komplex der Bibliothek gehören heute auch das Lessinghaus, das Zeughaus (dient als Kataloghaus) und der Kornspeicher, in dem die Lesesäle untergebracht sind. Seit 1968 entwickelte sich die Bibliothek dann zu einer europäischen Studien- und Forschungsstätte von internationaler Bedeutung, die jedoch auch für jeden „Normalsterblichen“ zugänglich ist. Innerhalb einer Stunde kann praktisch jedes Buch bzw. Faksimile oder zum Teil sogar digitalisierte Schriftstücke in einen der Lesesäle gebracht werden. Momentan umfasst der Bestand ungefähr eine Million Bände, davon über 13.000 originale Handschriften.

3. Akt: Das teuerste Buch der Welt

Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel beherbergt es: das teuerste Buch der Welt. Dabei handelt es sich um das Evangeliar Heinrichs des Löwen (1129 - 1195, von 1142 bis 1180 als Heinrich III. Herzog von Sachsen sowie von 1156 bis 1180 als Heinrich XI. Herzog von Bayern).

Es wurde 1188 von Mönchen der Benediktinerabtei Helmarshausen fertiggestellt und war ein Geschenk für den Marienaltar der Braunschweiger Stiftskirche. Viel ist nicht über seine Geschichte bekannt, doch es gibt schriftliche Zeugnisse, dass das Evangeliar 1594 in Prag neu eingebunden wurde. Danach wechselte es mehrmals den Besitzer, bis es 1860 vom Hannoveranischen König zurückgekauft wurde. Dann verliert sich abermals seine Spur bis zum Jahre 1983, in dem das Evangeliar auf einer Versteigerung von Sotheby's wieder auftauchte und dort von der Bundesrepublik Deutschland, den Ländern Niedersachsen und Bayern und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für sage und schreibe 32,5 Mio Deutsche Mark ersteigert wurde.

Von dem Evangeliar wurden 2000 Nachdrucke und Teilnachdrucke hergestellt, da das Original selbst aus Sicherheitsgründen nur wenige Male im Jahr ausgestellt wid.

Es umfasst 220 Seiten, von denen 70 illustriert sind, 50 ganzseitige Miniaturen und rund 1584 mit Gold und Silber verzierte Initialen.

Zur Aufbewahrung dieses und anderer besonders kostbarer und größtenteils handschriftlicher Werke wurde die feuersichere Schatzkammer der Bibliothek gebaut.

4. Akt: Das Lessinghaus

Lessinghaus Nach unserem Besuch der Bibliothek ging es mit Frau Ziege weiter zum benachbarten Lessinghaus, dessen kleiner, aber sehr gepflegter Vorgarten mit duftenden Rosenbeeten zuerst ins Auge fällt. Hier wohnte der Schriftsteller und Bibliothekar Lessing (1729 - 1781) von 1770 bis zu seinem Tode. Gebaut war es als Hofbeamtenhaus im Jahre 1735.

Das Gebäude im Stil einer Maison de Plaisance diente nach Lessing auch seinem Nachfolger Otto von Heinemann kurzzeitig als Bibliothekarswohnung. Als der Neubau des Bibliotheksgebäudes fertiggestellt war, sollte das Lessinghaus ursprünglich zusammen mit der Rotunde ebenfalls wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Glücklicherweise wurde dieser Plan nicht umgesetzt und 1929 – nachdem das Wasserstraßenamt und das Staatliche Bauamt hier ihren Sitz hatten – drei Räume im Nordflügel als Lessing-Gedenkstätte hergerichtet. 1958 wurden diese komplett renoviert und stehen seit 1978 für Besucher offen. Die aktuelle Ausstellung kann man seit April 2004 bewundern.

1770 kam Lessing aus Hamburg nach Wolfenbüttel, um hier seine erste feste Anstellung anzutreten. Denn obwohl er ein Mensch der Großstadt war, brauchte er eine feste Einnahmequelle, damit er die 1767 in Hamburg kennen und lieben gelernte Witwe und Mutter dreier Kinder, Eva König, heiraten konnte. Zunächst wohnte er im Schloss wo er auch „Emilia Galotti“ vollendete, bis er 1775 Eva König endlich ehelichen konnte und mit ihr kurz vor Weihnachten 1777 in das heutige Lessinghaus einzog. Doch das Schicksal meinte es nicht sonderlich gut mit ihm, denn im selben Jahr, kurz nach Weihnachten verstarb sowohl sein neugeborener Sohn, wenige Stunden nach der Geburt, als auch seine Frau, elf Tage danach (am 10.01.1778). Die Trauer über diesen schweren Verlust schlug sich auch auf Lessings Gesundheit nieder, sodass er drei Jahre nach dem Tod seiner Frau in seiner Wohnung in Braunschweig verstarb.

Nach seinem Tod löste sein Bruder den kompletten Haushalt des Wolfenbütteler Hauses auf. Daher sind leider keine originalen Möbel erhalten und die einzigen drei persönlichen Gegenstände im Lessinghaus sind heute sein Wanderstab, sein Spieltisch und eine Haarlocke, sowie eine Totenmaske, d. h. ein Gipsabdruck vom Gesicht des toten Lessing.

Seit dem Jahr 1773 gab Lessing bis 1778 die bibliothekseigene Zeitschrift „ Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel“ heraus, für die er vom Herzog Zensurfreiheit erhalten hatte. In dieser Zeitschrift äußerte er sich referierend und vor allem kommentierend über Schriften aus der Bibliothek und verhalf ihr so zu neuem Ruhm. Jedoch nutze er die ihm erteilte Zensurfreiheit auch aus und schrieb über ein Manuskript seines Freundes Hermann Samuel Reimarus (seines Zeichens Orientalist), das einen so theologisch-kritischen Text enthielt, dass Reimarus es selbst nicht zu veröffentlichen wagte. Lessing tat nun so, als habe er das Manuskript eines anonymen Verfassers in der Bibliothek gefunden, und rezensierte es in seiner Bibliothekszeitschrift. Daraufhin entbrannte zwischen ihm und dem Hamburger Hauptpastor Goeze ein heftiger Streit, bei dem sich Lessing fast vor Gericht hätte verteidigen müssen. Goeze warf ihm nämlich vor, seine persönliche Meinung in dieser Rezension wiedergegeben zu haben – und nicht den Text eines anderen. Im Zuge dessen wurde Lessing dann die Zensurfreiheit wieder entzogen und er begann, sich erneut dem eigenen Schreiben zu widmen. In diesen letzten Jahren vor seinem Tod schrieb er das berühmte Bühnenstück „Nathan der Weise“.

5. Akt: Eine Klasse im Zauber des Residenzstädtchens

Nach dieser Fülle an Informationen und Eindrücken, Büchern, Geschichte und Kultur war der allgemeine Zenit der Konzentration allmählich erreicht und Stimmen wurden à la „Herr Fabritz, wir haben Hunger, können wir jetzt Eis essen gehen?“ laut. Aber ganz so schnell ging es dann doch nicht, erst musste noch ein Gruppenbild vor der Bibliothek geschossen werden, einige mussten sich ins Gästebuch eintragen, die Auslagen im Museumsshop begutachten oder die sanitären Einrichtungen aufsuchen, bis es dann hieß: „Santha, Sie führen uns jetzt einmal in die Innenstadt.“

Wolfenbüttels Innenstadt Da diese in Wolfenbüttel eher klein ist, war das erstens kein größeres Problem und zweitens eine Sache vom wenigen Minuten, sodass die Lust auf Eis (bei dem Wetter kein Wunder) recht schnell befriedigt werden konnte. Nach der Speisung der 28 wurde uns die Gestaltung der restlichen Aufenthaltszeit (ungefähr noch zwei Stunden) freigestellt und die Begutachtung weiterer Sehenswürdigkeiten statt ausgedehnter Shoppingtour vorgeschlagen.

Das Wolfenbütteler Rathaus Die gemütliche Altstadt Wolfenbüttels bietet malerische Fachwerkhäuser und Originalbauten aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Neben dem Renaissance-Schloss und den Bauten auf dem Bibliotheksgelände sind das Rathaus, ein ehemaliges Bürgerhaus von 1602, die Alte Apotheke, ein prunkvolles, ehemaliges Hofbeamtenhaus, das sich neben einem ebenfalls besonders prachtvollen, klassizistisch wirkenden Bau befindet, welcher heute als Standesamt dient, die Herzogliche Kanzlei, in leuchtendem Rot gestrichen, und die Haupt- bzw. Marienkirche, eine beeindruckende Mischung aus Gotik, Renaissance und Barock, unbedingt sehenswerte Gebäude. Aber auch ein Spaziergang durch die Lange Herzogstraße mit den Krambuden oder die Reichsstraße sowie ein Blick auf Klein Venedig, eine von wenigen erhaltenden Grachten, ist lohnenswert.

Mit der Besichtigung der Innenstadt endete dann auch unser sowohl sehr interessanter als – zugegebenermaßen – auch anstrengender Tag in Wolfenbüttel und wir traten die ebenfalls dreistündige Heimfahrt an.

Das Bildungsziel ist offensichtlich erreicht und der Weg dorthin hat sogar Spaß gemacht. Ein klares Zeichen dafür, dass ein Haufen alter Bücher und längst verstorbene Schriftsteller von einst auch für junge Menschen nicht langweilig sein müssen.

Die Klasse 11b vor der Herzog-August-Bibliothek