Romanrezensionen

Am Ende der Unterrichtsreihe zu Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ entstanden im Grundkurs Deutsch der Jgst. 13 (Fab) Romanrezensionen.

Margarete Herden: Tauben im Gras

Als Abiturvorgabe festgelegt und nicht einmal von vielen Deutschlehrern gekannt oder gelesen: Der Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen sorgt seit seiner Veröffentlichung 1951 bei vielen Kritikern für Kopfzerbrechen und stellt aktuell eine große Herausforderung für den Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe dar.

Doch wie schafft es der Autor, durch seine mosaikartig strukturierte und außergewöhnlich komplexe Handlungsstruktur eine derartige Polarisation auszulösen?

Kann ein Roman, der seinen Leser derart irritiert, sodass er nach dem ersten Leseerlebnis eher den Eindruck der Verwirrung und Komplexität erhält, überhaupt positiv rezensiert und als literarisch übergeordnet bewertet werden?

Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ kann das sicherlich – wenn auch nicht bedingungslos.

Koeppen liefert in seinem Werk eine modellhaft konzentrierte Bestandsaufnahme eines Tagesgeschehens in einer Stadt im noch deutlich vom Krieg gekennzeichneten Westdeutschland.

Dabei bedient er sich eines breiten Portfolios von mehr als 30 Figuren, die einen Querschnitt durch die Bevölkerung aufweisen und sich durch ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Nationen, Generationen, sozialen Schichten und statistischen Verteilungen voneinander unterscheiden. Ihre unterschiedlichen Charaktereigenschaften und Biographien weisen sie zwar als Individuen aus, dennoch bewegen sie sich als anonyme Masse in einer Großstadt, die sich als Auffangbecken für Lebenskrisen und Identitätsverluste zeigt. Diese Desorientierung und Ordnungslosigkeit lässt die anonym zusammenlebenden Personen wie „Tauben im Gras“ wirken.

Die figuralen Verknüpfungen der zahlreichen Einzelschicksale konstruiert Koeppen geschickt durch sein wahrscheinlich markantestes erzählerisches Merkmal, die Montagetechnik. Hierbei entwirft er eine mosaikartige Szenenabfolge, die in über 100 kleinere Handlungssequenzen zerfällt. Eine derartig polyperspektivische Konstruktion unterbindet das Zustandekommen eines übergeordneten Handlungszusammenhanges. Zudem verhindert sie das Entstehen konsistenter Protagonisten. So bildet Koeppen die Ereignisse nicht nur ab, sondern reflektiert vor ihrem Hintergrund die vielfache Darstellung von Einzelschicksalen, welche sich mit existenziellen Fragen beschäftigen.

Historisch lässt sich das Werk in die Epoche der Kahlschlags- oder Trümmerliteraur einordnen, was charakteristisch für die im Werk behandelten Thematiken wie die Gegenwärtigkeit von Krieg, Verfolgung und Schuld in der existenziellen Misere der Menschen im Nachkriegsdeutschland ist.

Dennoch stellt sich nach wie vor die Frage nach der Besonderheit und Allgemeingültigkeit von „Tauben im Gras“. Der Roman lässt sich trotz seiner historischen Einordnung auf die moderne Gesellschaft übertragen. So durchlebt auch das moderne Individuum existenzielle Krisen, allerdings unter differenzierten Begleiterscheinungen wie Globalisierung, Terror und Erderwärmung.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Koeppens Werk sicherlich gut interpretieren und regt zu einem erneuten Leseerlebnis auf einer tieferen Handlungsebene ein.

So wird aus dem fragmentarischen Handlungsgewirr bei genauer Textarbeit ein aufwühlender und anregender Roman, der durch seine einzigartig tiefgründigen Handlungsebenen zur inneren Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit, aber auch mit der existenziellen Basis des menschlichen Daseins anregt. Die Aufnahme in die Abiturvorgaben wird sicherlich noch viele Auseinandersetzungen mit dem Werk und seinem Autor zur Folge haben, denn „Tauben im Gras“ wird sicherlich immer polarisierend auf die Leserschaft wirken – ganz egal in welcher Zeit. 

Manuel Hettich: Tauben im Gras

Im Jahre 1951 veröffentlicht Wolfgang Koeppen den Roman „Tauben im Gras“, in welchem er nach der Meinung des damaligen Verlages Scherz & Goverts die „Gegenwart fassen, begreifen, ganz beschreiben“ soll. Allerdings steckt mehr in diesem Werk, es beschreibt nicht nur die damalige Gegenwart. Nein, vielmehr verbirgt es eine Warnung, die uns nicht zuletzt auch heute noch betrifft.

Es erzählt die Geschichte eines Münchner Tages 1951, an welchem über 30 Personen mit den verschiedensten Einstellungen und Hintergründen aufeinandertreffen oder aneinander vorbeigehen. Umgeben von der allgegenwärtigen Gefahr eines Ausbruchs des Kalten Krieges, führen manche von ihnen ein eher verzweifeltes Leben, wobei es anderen auch gelingt, zumindest scheinbar ihrem Wunsch eines besseren Lebens einen Schritt näher zu kommen.

Doch zunächst zu dem Kontext des Romans: Was ist 1951 in Deutschland passiert? Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die BRD und die DDR sind gegründet worden und der Hunger der Bevölkerung nach Kultur beflügelt sowohl literarisches als auch z. B. musikalisches und cineastisches Bemühen. Und nicht zuletzt ist die Ideologie der vergangenen Naziherrschaft noch immer in den Köpfen von weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden. Koeppen bereut es, dass er selbst nur zuschauen und schließlich in die Niederlande fliehen muss. Wahrscheinlich nicht zuletzt auch aus diesem Grund behandelt Koeppen in „Tauben im Gras“ u. a. die Kontaktlosigkeit der Menschen und die Gefahr einer Rückkehr des faschistischen Bewusstseins.

Bei dem erstmaligen Lesen des Werkes fällt dem Leser wahrscheinlich die Tendenz Koeppens auf, nur selten einen Punkt zu setzen. Die langen Sätze wirken ermüdend und die prägnante Montagetechnik sowie die allgegenwärtigen inneren Monologe scheinen eher zu stören, als dass sie das Herz des (vielleicht zentralabiturtechnisch gezwungenen) Lesers erfreuten. Die mythologischen Verweise werden darüber hinaus öfters überlesen. Und dann gibt es noch die über 30 verschiedenen Personen und mehr als 100 getrennte Passagen, sodass spätestens jetzt auch der letzte Interessierte sein Wohlwollen gegenüber dem Autor aufgibt.

Dennoch gibt es auch einige positive Aspekte, die wie so oft nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. So ist eines der Themen die Verwahrlosung des einzelnen Menschen gleich einer Taube im Gras , verloren und nur den Trieben und dem Zufall überlassen, grundsätzlich nicht so leicht als „uninteressant“ ablehnbar. Auch die langen Sätze und die Monologe kann man einfach auf sich wirken lassen, wodurch das Lesen möglicherweise schneller voranschreitet. Die vielen Personen lassen sich relativ eindeutig in Gruppen einteilen, wie dies bereits Josef Quack 1997 festgestellt hat. Entweder sie gehören zu denjenigen, die das Leben und die Liebe im Negerclub feiern, oder sie erfreuen sich bei viel Bier im Bräuhaus an Hitlers Lieblingsmarsch.

Durch diese letzte Begebenheit wird ebenfalls ein heutzutage immer noch relevantes Thema der Attraktivität von faschistischen Ideologien in Krisenzeiten deutlich. Und auch Ezras Gewaltfantasien würde man heute fast schon routinemäßig mit zu vielen Gewaltspielen begründen. Jedoch ist es nicht immer so leicht, die Welt ist in ihrer Art weder schwarz noch weiß (sondern nur durch ihren Betrachter definiert) und vielleicht gelingt es Koeppen auch heute noch, uns an diese Weisheit zu erinnern. Vielleicht betont sein Roman, dass die Menschen mit sich selbst und mit ihren Mitmenschen sorgsam und aufmerksam umgehen sollten.

Wenn man „Tauben im Gras“ unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, könnten sich manche Abneigungen auflösen. Letztlich handelt es sich hierbei aber offensichtlich nicht um eine leichte Lektüre, sondern um einen Rohstoff, der nur in Verbindung mit der eigenen, persönlichen Situation wahrlich bearbeitet und an Form gewinnen kann. Ob der geneigte Leser dies will und in welchem Ausmaß er dies versucht, ist dabei allein seine eigene Entscheidung. 

Vanessa Jessen: „Tauben im Gras“

„Tauben im Gras“ – Mit diesem Titel würde man wohl nicht sofort die Nachkriegsthematik verbinden. Wolfgang Koeppen jedoch benannte seinen Roman so, der einer Triologie angehört. „Tauben im Gras“ handelt von existenziellen Sorgen, Ängsten und Nöten von über 30 Handlungspersonen an nur einem Tag in einer süddeutschen Stadt. Der strukturelle Aufbau seines Romas vermag beim ersten Lesen verwirrend sein: 102 kurze oder auch lange Abschnitte oder Sequenzen, abgehackte Sätze oder Sätze, die kein Ende zu haben scheinen.

Jedoch gilt Koeppens „Tauben im Gras“ bis heute als einer der bedeutendsten Nachkriegsromane und Marcel Reich-Ranicki nahm ihn sogar in seinen bekannten Kanon auf. Koeppen bedient sich in seinem Roman der sogenannten Montagetechnik. Diese Technik erlaubt es, die einzelnen Handlungsstränge wirr und ungeordnet erscheinen zu lassen, doch bei der genaueren Auseinandersetzung fällt auf, dass alles sehr bewusst und planvoll gewählt worden ist.

Außerdem bezieht sich Koeppen häufig auf andere schon bereits existierende Texte, wie z. B. diverse Zeitungsartikel, deren Titel im Roman genannt werden, aber auch Textbezüge auf die Bibel oder den Bereich der Mythologie kommen vor. Diesen Bereich der Intertextualität nutzt Koeppen gekonnt und lässt seinen Roman noch komplexer wirken.

Abschließend ist die Thematik an sich zu nennen. Man merkt, dass der plötzliche Abbruch des „Dritten Reiches“ unter Adolf Hitler stark für Unruhen und Probleme sorgt. Die Tatsache, dass es an Nahrung und Unterkünften und besonders an Geld, aber auch an Zukunftsvorstellungen mangelt, schwebt in den Köpfen der Protagonisten und verstärkt die Thematik. Wolfgang Koeppen setzt sich also kritisch mit den situierten Menschen im Nachkriegsdeutschland auseinander und tut das auf eine literarisch sehr seltene Art und Weise, die auf die Leser sowohl ansprechend und interessant als auch verwirrend wirken kann.  

Mona Niebuhr: Tauben im Gras

,,Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel’’, heißt es gleich zu Anfang in Wolfgang Koeppens Roman ,,Tauben im Gras’’ aus dem Jahr 1951 und damit verweist Koeppen direkt auf die Bedrohung durch einen möglichen dritten Weltkrieg, die die Figuren in Angst versetzt.

Es geht um viele verschiedene Beziehungen der Romanfiguren, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihre Einstellungen, ihre Erinnerungen an die Vergangenheit und ihre Probleme, die sie von dem bedrohenden Szenario ablenken.

Koeppen bezieht sich hierbei zwar größtenteils auf geschichtliche Hintergründe, doch beschreibt er diese nicht nur. Bewusst versucht er mit Hilfe der deutschen Geschichte die Gedanken und Probleme der Figuren herauszustellen.

Der Rassegedanken findet sich noch immer in der Denkweise der Figuren wieder, doch überträgt sich dieses auf die dunkelhäutige Bevölkerung Amerikas. Frau Behrend, die Mutter von Carla, akzeptiert den Freund ihrer Tochter, Washington Price, nicht, noch weniger das Kind, das Carla von ihm erwartet. Der Rassismus zeigt sich schließlich sogar am Ende des Romans. Die Menschenmasse wird durch eine Person erregt, sodass sie im Stande ist zu töten. Durch die Steinwürfe wird man an die Reichspogromnacht erinnert.

Somit gelingt es Koeppen, zwar auf eine brutale Weise, Geschichte nicht nur wiederzugeben und sie auf die Zeit des Romans zu übertragen, sondern die damit verbundenen Reaktionen der Menschen darzustellen.

Zunächst zu bemängeln ist jedoch der ständige Wechsel zwischen den Handlungen, der für Verwirrung sorgt. Am liebsten würde man den Roman gleich wieder beiseite legen.

Doch bei genauerer Betrachtung bauen die Abschnitte in gewisser Weise aufeinander auf und die Technik, die sogenannte Montage, fördert den Lesefluss, schärft den Inhalt und lässt den Leser mitdenken. Und auch die Intertextualität mit Verweisen auf die griechische Mythologie hilft dem Leser für das Textverständnis.

Zusammenfassend würde ich sagen: Legt den Roman nach der zweiten Seite noch nicht sofort weg. Langweilt ihr euch nach der vierzigsten Seite immer noch, lasst es lieber sein.  

(November 2010)