Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Bielefeld 2025 fand eine ebenso informative wie eindrückliche, zweistündige Führung über den unter Denkmalschutz stehenden jüdischen Friedhof in Bielefeld statt. Geleitet wurde die Exkursion, an der fünfundzwanzig interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer – darunter die Hebräisch-Kurse des Ceciliengymnasiums – teilnahmen, vom Kantor der hiesigen Jüdischen Kultusgemeinde, der es verstand, die vielen Besonderheiten sowie bemerkenswerte Hintergrundgeschichten zur Bielefelder Friedhofsgeschichte nahezubringen und in die Besonderheiten des jüdischen Totengedenkens einzuführen.
Der jüdische Friedhof wird poetisch und bedeutungsvoll als „Der Gute Ort“ oder auch als „Haus des Lebens“ (Bet HaChaim) bezeichnet. Dieser Name zeugt von der zentralen Bedeutung des Ortes, der nach jüdischem Glauben nicht nur ein Ort der Trauer, sondern der ewigen Heiligkeit und des ewigen Gedenkens ist. Ein fundamentaler Pfeiler des jüdischen Umgangs mit Verstorbenen ist das Prinzip der Grabesruhe, das absolut ist: Es ist gegründet in der konkreten Vorstellung der Wiederauferstehung beim Eintreffen des Messias, weshalb Gräber nach jüdischer Religionsgesetzgebung niemals geöffnet, beseitigt oder wiederbelegt werden dürfen. Der Friedhof ist somit eine ewige Ruhestätte.
Die Bestattungsrituale selbst spiegeln die Einheit und Gleichheit der Gemeinde wider. Juden lehnen die Feuerbestattung ab. Die rituelle Vorbereitung des Toten wird von Mitgliedern der Heiligen Bruderschaft (Chevra Kadisha) durchgeführt, die die Waschung (Tahara) vornehmen und die/den Verstorbenen in ein schlichtes Leinenhemd kleiden. Diese Einfachheit, der schlichte Sarg, der Verzicht auf prunkvolle Grabmäler und insbesondere auf Blumenschmuck betonen, dass im Tod alle gleich sind, unabhängig von ihrem irdischen Stand. Die Beerdigung soll unter großer Anteilnahme der Gemeinde erfolgen. Nach einer Ansprache wird das Kaddisch gesprochen. Ein besonders ergreifender Brauch ist das Werfen von je drei Schaufeln Erde auf den Sarg, nachdem dieser ins Grab hinabgelassen wurde. Später, zum ersten Jahrestag (Jahrzeit), wird in der Regel der Grabstein errichtet. Das Gedenken an die/den Verstorbene/n wird nicht durch vergängliche Blumen, sondern durch Dauerhaftigkeit symbolisiert: Die Besucherinnen und Besucher bringen kleine Steine mit, die auf das Grab oder den Grabstein gelegt werden. Sie sind ein sichtbares Zeichen dafür, dass man die/den Verstorbene/n besucht und ihrer/seiner gedacht hat.
Der heutige jüdische Friedhof am Haller Weg ist der neue Friedhof der Jüdischen Kultusgemeinde in Bielefeld. Seine Entstehung im späten 19. Jahrhundert war notwendig geworden, weil der alte jüdische Friedhof am Bolbrinkersweg, der von ca. 1665 bis 1891 genutzt worden war, nahezu voll belegt war. Der Antrag auf Vergrößerung des alten Areals wurde 1881 von der Königlichen Regierung abgelehnt. Nach fast zehnjährigen, zähen Verhandlungen fand der Gemeindevorstand ein geeignetes Grundstück in unmittelbarer Nähe des städtischen Johannisfriedhofes am Haller Weg, und am 6. Juni 1891 wurde die Genehmigung zur Nutzung erteilt. Bemerkenswert ist, dass im Jahr 1914 die Friedhofsordnung sogar um ein Urnenfeld und die Erlaubnis zur Urnenbeisetzung auf Erbbegräbnisplätzen erweitert wurde, was einen deutlichen Wandel in der ansonsten traditionell geprägten Bestattungskultur markiert.
Die bewegte Vergangenheit der Gemeinde ist heute durch die elf verbliebenen Gedenkstelen gegenwärtig. Ursprünglich waren es zwischen 300 und 350! Diese Stelen sind die letzten physischen Zeugen des alten, 1953 endgültig aufgehobenen Friedhofs am Bolbrinkersweg. Die religiöse und kulturhistorische Bedeutung des Areals wurde in der Wiederaufbauphase nach dem Krieg verkannt, sodass heute eine breite Straße, der Haller Weg, über das Gelände des einstigen „Guten Ortes“ führt. Die elf erhaltenen Grabstelen aus der Zeit von 1665 bis 1891 wurden auf den neuen Friedhof überführt und dienen dort als Mahnmal und sichtbares Bindeglied zwischen den Generationen. Ihre sorgfältig gestalteten hebräischen Inschriften bewahren die Erinnerung an jene, deren ursprüngliche Ruhestätte dem städtebaulichen Wandel weichen musste.
Die aufmerksamen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Hebräischkurse entdeckten bereits während der Führung zahlreiche bemerkenswerte Inschriften, Symbole und Ornamente, die im laufenden Unterricht nun übersetzt sowie historisch und theologisch eingeordnet werden können.
עזה כמות אהבה – „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 8, 6)
Jüdische Friedhöfe
Spurensuche – Jüdische Friedhöfe in Deutschland
epidat – epigraphische Datenbank (Datenbank zur jüdischen Grabsteinepigraphik)
Die jüdischen Friedhöfe Nordrhein-Westfalens
כבוד וניחום – Kavod v’Nichum – The Prague Paintings – Bilder der Chevra Kadisha in Prag (PDF)