Grachten, Judentum und Machetenjongleure – Eine Reise nach „Mokum“

Die Portugiesische Synagoge„Mokum“ – so nannten und nennen Juden Amsterdam. Der Begriff leitet sich vom hebräischen „Makom“ (Ort, Stelle) ab und bezeichnete für viele Juden den „Ort“ schlechthin: Das „Jerusalem des Nordens“ wurde ab dem 16. Jahrhundert insbesondere für Juden aus Spanien und Portugal, dann auch aus Osteuropa zur Zufluchtsstätte – eine Stadt mit reichhaltiger jüdischer Geschichte, also ein ideales Reiseziel für eine Hebräisch-Kursfahrt.

Und so machte sich denn unsere zehnköpfige Reisegruppe (Hebräischkursfahrten blieben – leider! – eine exklusive Angelegenheit bis auf den heutigen Tag) aus einigen Schülern, Lehrern und Sympathisanten am 24. April auf den Weg nach Amsterdam.
Nach der eher unbeschwerlichen Anreise mit der Bahn und einigen Abenteuern im wirklich eigenwilligen Netz der Amsterdamer Straßenbahnen konnten wir uns endlich in der Jugendherberge Vondelpark (in Nachbarschaft zum Hard Rock Cafe) häuslich einrichten. Die vorangeschrittene Uhrzeit ließ uns an diesem Donnerstagabend nur noch Zeit für einen ersten Abendspaziergang. Im lebhaft-lauten Amsterdamer Nachtleben begegneten wir nicht nur den vielen (tatsächlich ansehnlichen) Grachten und Grächtchen, sondern auch einem schrulligen, machetenjonglierenden Straßenkünstler, der einigen von uns wohl noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Die Portugiesische Synagoge Der Folgetag (Freitag, 25. April) war ganz dem jüdischen Amsterdam gewidmet: Nach dem Frühstück brachte uns ein Fußmarsch ins jüdische Viertel zur Portugiesischen Synagoge, der „Esnoga“, einem alten, großen, aber lichten Backsteinbau mit denkwürdiger Geschichte: 1942 versuchten die Nazis, die Synagoge in eine Sammelstelle für Deportationen niederländischer Juden umzufunktionieren, scheiterten aber an den Lichtverhältnissen. So eröffnete sich uns das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert als typische Synagoge in einer Spannung zwischen Konvention und Einzigartigkeit – wir entdeckten nicht nur die Bima, den Aron ha-Kodesch, das Ner Tamid oder die Chupa aus exotischem Tropenholz, sondern auch das (über lange Jahre von Herrn Kiesow gesuchte) symbolisch unverputzte Stück Mauerwerk – und natürlich den bemerkenswerten Reichtum an Fenstern.
Hollandsche Schouwburg - Gedenkstätte am Deportationssammelort der Amsterdamer Juden Nach kurzem Aufenthalt im kleinen synagogeneigenen Souvenirladen besuchten wir die Hollandsche Schouwburg, ein ehemaliges Kabaretttheater, das die Nationalsozialisten ab 1942 anstelle der Portugiesischen Synagoge als Sammellager für Deportationen nutzten. Heute befindet sich hier eine Holocaust-Gedenkstätte: In den Theaterruinen erhebt sich aus einem Davidsstern ein hoher, schwarzer Gedenkstein; im Eingangsbereich sind die Familiennamen der rund 100 000 niederländisch-jüdischen Shoa-Opfer aufgelistet. Nur knapp sechs Prozent der niederländischen Juden überlebten den Holocaust. Heute zählt die jüdische Gemeinde Amsterdams etwa 700 Mitglieder.
Joods Historisch Museum Nachher folgte ein mehrstündiger Besuch des Jüdisch-Historischen Museums. Nach dem Mittagessen im Museumscafé (man aß, da gerade Pessach war, natürlich Matzen) erhielten wir einen lebendigen Einblick in alle Facetten der jüdischen Geschichte Amsterdams und Europas, von der religiösen Identität bis hin zur Integration aufgeklärter jüdischer Kreise in die bürgerliche Gesellschaft. Besonders hervorzuheben ist die ansprechend gestaltete Kinderabteilung, die uns in besonders lebhafter Erinnerung geblieben ist. Nach dem Abendessen in der Jugendherberge suchten wir das Anne-Frank-Haus in der Prinsengracht auf, in dem sich die Familie Frank von 1942 - 1944 vor den Nationalsozialisten versteckte und das Anne Frank nun als Museum gewidmet ist.
Auch der zweite Abend klang schließlich in einem freien Abendbummel durch Amsterdam aus.

Der Samstag begann für uns mit Frühstück und Checkout, es folgte die – für Amsterdamreisen wohl obligatorische – Grachtenfahrt, auf der wir weitere Gesichter Amsterdams besser kennen lernten, von der ewigen Hausboot- und Brückenromantik der Amsterdamer Wasserstraßen über das tatsächlich miteinander kombinierte Rat- und Opernhaus und die Prachtfassaden des Großbürgerviertels bis hin zum Hafen. Anschließend gewährten flämische und niederländische Meister wie Rembrandt oder Vermeer im Rijksmuseum weitere Einblicke in die Blütezeit Amsterdams. Der Nachmittag gestaltete sich wieder frei; die Heimreise erfolgte am Abend.

Tora-Rolle im Joods Historisch Museum: Der Priestersegen (Num 6) Die Fahrt in die Stadt der Grachten, des bunten Nachtlebens und der reichhaltigen jüdischen Geschichte bescherte uns insgesamt neben heiteren wie nachdenklichen Momenten auch tiefe und lebendige Einblicke (nicht nur) in die jüdische Geschichte Amsterdams und überzeugte uns ein weiteres Mal vom Urgrund aller Exkursion: lebendiger Anschauung.