Elena Ewering berichtet vom Deutschen Evangelischen Kirchentag aus Dresden
Es ist kalt, es ist grau es ist windig, aber wen kümmert das? Ich bin in Dresden! Nach einer langen, aber erstaunlich angenehmen Busfahrt bin ich am Mittwochnachmittag in Dresden angekommen.
Die Stadt ist nach der Kirchentagsvorfahrt kaum noch wieder zu erkennen. Überall hängen Plakate und Banner in den diesjährigen Kirchentagsfarben pink und grün.
Zugegeben, die Kombination ist zu Anfang etwas knallig, aber diese Intensität und Farbenfreude spiegeln die hier herrschende Stimmung wider. Die Menschen, denen man hier begegnet, sind nämlich, ähnlich wie die Farben, alles andere als traurig oder trist. Die Stimmung ist herrlich.
Zum Auftakt gab es, wie in den vorangegangenen Jahren, wieder einen großen Eröffnungsgottesdienst am Elbufer. Vorher musste ich aber noch ins Pressezentrum gehen, um mir meinen Presseausweis abzuholen.
Blöderweise habe ich dadurch den Anfang des Gottesdienstes verpasst. Die Wiese am Elbufer vor der großen Bühne war voller Menschen. Ich als Pressemitglied durfte auf einer reservierten Bühne stehen und hatte einen guten Überblick über die ca. 55 000 Besucher.
Seine Predigt über die Losung „…da wird auch dein Herz sein“ (Matthäus 6,21) begann Landesbischof Jochen Bohl mit den Worten „Geld regiert die Welt“ und begann somit gleich mit einer Kritik an dem maßlosen Konsum und der Raffgier der Menschen. Wir sollten nicht irdische Schätze anhäufen und dadurch Werte wie Liebe und Gerechtigkeit einander und auch Gott gegenüber verlieren. Die Schätze, die später zählen, seien nicht die irdischen, denn diese seien vergänglich, sondern die Schätze bei Gott. Es sei vielleicht beruhigend, viel Geld und andere Wertsachen zu besitzen, aber nach Bohl sind sie, wie man an vielen Beispielen erkennen könne, kein Garant für Glück und Zufriedenheit. Bohl verdeutlichte, dass materieller Reichtum auch schon für Jesus eine Illusion war, die den Menschen davon abhalte, frei zu sein. Wir sollten die Schätze im Himmel anhäufen und nicht auf der Erde. Göttliche Schätze, wie z. B. Gottes Liebe, seien nicht bedroht durch eine Wirtschaftskrise. Gottes Liebe sei für ewig. Wir als „freie Christenmenschen“ müssen uns und nach Bohl nicht vom Geld leiten lassen, denn wir wissen: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein“.
Eröffnet wurde der Kirchentag schließlich von der Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Sie wies mit viel Intensität darauf hin, dass es dringend nötig sei, dass wir miteinander reden – über die Demokratiebewegung in Nordafrika oder auch über die Fragen von Nachhaltigkeit und Atomkraft. Natürlich sollten wir auch besonders über Gott und seine Liebe reden und auch über uns selbst. Gegen Ende ihrer Ansprache forderte Katrin Göring-Eckardt die Menschen dazu auf, mit ihren und den Händen des Nachbarn ein Herz zu bilden. Bei den Worten „Schaut in den Himmel, denn er ist hell geworden“ öffneten wir unsere Hände und unglaublicherweise riss im gleichen Moment der Himmel auf und die Sonne kam endlich aus der grauen Wolkendecke hervor. Dies war wirklich ein Moment des Erstaunens. Durch die Menge ging ein Raunen und mancherorts wurde geklatscht.
Nach der Kirchentagspräsidentin ging das Wort an unseren Bundespräsidenten Christian Wulff. Er freute sich sehr über die große Zahl von 120.000 Menschen, die dieses Jahr zum Kirchentag kommen oder kommen werden. Auch er wies auf die Ereignisse in Ägypten hin und zeigte seine Hochachtung vor der dortigen christlichen Minderheit, die die Demokratiebewegung mitgetragen hat. Dass Christen dazu fähig sind, Diktaturen zu stürzen und aufgrund ihrer Überzeugung auch politisch aktiv werden, hat man nach Wulff auch schon zu Zeiten der DDR gesehen. Auch dort hätten Christen dazu beigetragen, dass Deutschland wiedervereint ist. Er persönlich halte es für wichtig, dass die beiden Konfessionen der christlichen Kirche in diesen Zeiten des Mitgliederschwunds mehr zusammenarbeiten. Ökumene müsse selbstverständlich werden.
Nach dem Gottesdienst begann der Abend der Begegnung. Zuerst bin ich zusammen mit dem anderen Kirchentagsreporter aus Bielefeld Richtung Altmarkt gegangen und habe so zufälligerweise ein Konzert der bekannten Gruppe „Die Prinzen“ mitbekommen. Die Stimmung dort war super, auch wenn wir nicht wie viele andere die Liedtexte mitsingen konnten. Später sind wir schließlich zurück zum Elbufer gegangen, um das abendliche Lichtermeer mitzuerleben. Am Elbufer hat man schließlich gemerkt, dass Dresden wirklich keine so große Stadt wie Köln oder Berlin ist. Das Durchkommen war mühsam und teilweise war es fast schon beängstigend eng. Als aber schließlich die meisten Leute einen Platz gefunden hatten, fing der Chor „Concentus Vocalis St. Lukas“ an, ein für diesen Abend komponiertes Stück zu singen. Es war ein sehr klangvolles und modernes Stück. Die Zuhörer wurden alle sehr still und hörten gebannt zu. Da es schon dunkel war, konnte man nur noch tausende Kerzen, aber keine Menschen auf der anderen Uferseite ausmachen. Plötzlich hörte man ein staunendes Flüstern, weil vereinzelte Teelichter die Elbe herunterschwammen. Nach und nach wurden es immer mehr, bis schließlich nicht nur die Uferseiten, sondern auch das Wasser von Kerzen beleuchtet war. Ein Mann mit Irokesenfrisur fing sogar an zu weinen, und auch ich muss sagen, dass ich selten etwas so Ergreifendes gesehen habe.
Dieser Abend war ein wirklich gelungener Auftakt des Kirchentages.
Donnerstag
Nach einem gelungen Auftakt gestern Abend habe ich heute als erstes die Diskussionsrunde zu der Fragestellung „Wie viel Integration braucht die Demokratie?“ (in Zusammenarbeit mit dem ZDF) besucht. Die Eisenarena war sehr voll.
Gleich zu Anfang wiederholte unser Bundespräsident, dass der Islam heute genau so wie das Judentum und das Christentum zu Deutschland gehöre. Er zeigte Verständnis den Menschen gegenüber, die Angst vor dem Islam haben – gerade nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Allerdings darf man seiner Meinung nach nicht vergessen, dass es wie im Christentum auch im Islam verschiedene Strömungen gibt.
Wir als Deutsche müssten aber den Moslems soviel Religionsfreiheit gewähren, wie es unser Grundgesetz zulässt. Nicht unsere christliche Tradition, sondern das Grundgesetz sei unsere Leitkultur, an die sich jeder zu halten habe. Wir sollten den Islam nicht so gut, wie es geht, einschränken, da wir uns sonst unglaubwürdig machten, wenn wir Religionsfreiheit für christliche Minderheiten in islamisch geprägten Ländern fordern. Integration kann für Wulff nur durch besseres Kennenlernen und Offenheit gelingen.
Ein Beispiel für gelungene Integration ist Aylin Selcuk, eine junge Frau mit Migrationshintergrund, die Vorsitzende der Deukischen Generation ist. Sie studiert Zahnmedizin und hat während ihrer Schulzeit eine Klasse übersprungen. Sie ist diejenige, die die Organisation „Deukische Generation“ ins Leben gerufen hat, welche sich für türkischstämmige Jugendliche aus Berlin einsetzt, die sich in die deutsche Gesellschaft integrieren wollen. Aylin Selcuk liegt besonders am Herzen, dass die Menschen anfangen, zu differenzieren, und nicht an ihren Klischees festhalten. Es gibt viele junge türkische Menschen, die sich sehr gut integrieren und auch hohe Bildungsabschlüsse erzielen.
Dieser Ansicht ist auch die Chefredakteurin einer Berliner Frauenzeitung, Sineb El Masrar. Sie setzt sich besonders dafür ein, dass sich das Bild der türkischen Frau in den Köpfen der Menschen ändert. Ihrer Meinung nach tragen immer mehr Frauen Kopftücher, weil sie sich selber mit ihrem Glauben auseinandergesetzt haben, und nicht, weil ihre Männer es anordnen. Ganz im Gegenteil: Die Männer sähen es meist gar nicht gerne, wenn ihre Frauen Kopftücher tragen. Aber für viele Frauen sei dies Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Es sei nur schwer, dies Außenstehenden zu vermitteln.
Eine fast schon gegenteilige Situation beschreibt die Lehrerin und Autorin Betül Durmaz. Ihre Schule liegt in einem Problemviertel in Gelsenkirchen. „Integration findet hier nicht statt“, da sie immer und immer wieder miterlebe, dass sich einige Jugendliche gar nicht integrieren wollten. Diese Jugendlichen suchten ihre Identität im Glauben und hielten alle andersgläubigen Menschen für schlechter. Das Problem seien aber weniger die Kinder als die Eltern. Es komme ständig vor, dass den Mädchen verboten werde, am Schwimmunterricht der Schule teilzunehmen oder mit auf Klassenfahrten zu fahren. Die Schule könne diesem Unwillen an Integration nichts entgegensetzen. Deswegen fordert Durmaz härtere Strafen für die Eltern, wenn sie ihren Kindern verbieten, an schulischen Aktivitäten teilzunehmen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel, Grigori Lagodinsky, ist selbst als Elfjähriger nach Deutschland immigriert. Seine Gemeinde in Kassel verzeichnet immer mehr Mitglieder, die oft auch aus dem Ausland neu nach Deutschland gekommen sind. Er stellt aber klar, dass es sich hierbei oft um Akademiker handele, die den Willen hätten, Teil der Gesellschaft zu werden. Dementsprechend habe er nicht die Probleme, mit denen Betül Durmaz zu kämpfen hat.
Der Soziologe Porf. Dr. Armin Nassehi erinnert daran, dass Deutschland sich noch nie als ein Einwandererland gesehen hat. Man habe ja anfangs immer gedacht, dass die Gastarbeiter wieder in ihre Heimat zurückkehren und nicht in Deutschland bleiben würden. Seiner Meinung nach ist die Integration in Deutschland vor dem Hintergrund, dass es von politischer Seite aus nie ein Bestreben nach ihr gegeben habe, eigentlich ganz gut geglückt. Wenn sich jeder nur noch um sich kümmern und nicht mehr so viel über die anderen nachdenken würde, könne es auch so eine Form von Integration geben. Dies wirft nur das Problem der Parallelgesellschaften auf, die Folgen haben, wie sie zuvor Betül Durmaz beschrieben hat.
Christian Wulff fordert die Menschen auf, sich für eine bessere Integration einzusetzen. Man könne z. B. Kindern Lesenachhilfe geben, deren Eltern es nicht möglich ist, sich selber um sie zu kümmern. Dies beschränke sich allerdings nicht auf Kinder mit Migrationshintergrund.
Nach dieser sehr interessanten Diskussion bin ich am Nachmittag von meinem Programm abgewichen. Da zwischen dem Workshop und dem Konzert der Wise Guys nur eine halbe Stunde Freiraum war, habe ich mich entschieden, den Workshop ausfallen zu lassen, und bin dafür zur Dreikönigskirche gefahren, um mir dort die Ausstellung „Tschernobyl“ anzuschauen. Es gab viele verschiedene Stellwände, an denen der chronologische Ablauf und die Folgen der Katastrophe dargestellt wurden. Es gab viele kleine, sehr interessante Interviews und Filmsequenzen. Während ich da war, wurde ein Mann durch das ZDF interviewt, der anscheinend zu den Liquidatoren gehört hat. Die Menschen, die ihr Leben riskiert haben, um den Super-GAU zu stoppen, standen im Mittelpunkt der Ausstellung. So wurden viele einzelne Personen vorgestellt und es wurde ihr Leben vor und nach dem Unglück beschrieben. Diese Lebensgeschichten waren sehr eindrucksvoll und verdeutlichten die Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht.
Nach dieser Ausstellung habe ich mich mit zwei anderen Kirchentagsreportern auf den Weg zum Rudolf-Harbig Stadion gemacht, in dem die Wise Guys spielten. Mit uns strömten die Massen zum Stadion und zwei riesige Menschentrauben standen vor den beiden Eingängen. Da wir ja zum Glück Presseausweise hatten, konnten wir schnell und ohne mit der Schlange anzustehen noch vor dem offiziellen Einlass ins Stadion und uns in die erste Reihe stellen. Schließlich wurden die Eingänge geöffnet und die Menschen rannten über den Platz, um so weit vorne wie möglich zu stehen. Sehr schnell war das Stadion voll und manche durften gar nicht mehr hinein, weil es sonst überfüllt gewesen wäre.
Die Vorband war der Chor „Just Gospel“ aus Dortmund. Mit ihren simmvoluminösen und schnellen Liedern heizten sie das Publikum so ein, dass die La-Ola-Welle gar nicht mehr aufgehört hat, nachdem sie einmal gestartet worden war. Darunter leiden mussten dann die Moderatoren des Kinderhilfswerks, das Organisator des Konzertes war, die gar nicht mehr richtig wahrgenommen wurden.
Als schließlich die Wise Guys auf die Bühne traten, tobte das Publikum und hörte auch nicht mehr auf. Fast die ganze Zeit hat das Publikum sämtliche Lieder mitgesungen und getanzt. Die Show der Gruppe war atemberaubend und bezog oft das Publikum mit ein. Erst nach drei Zugaben ließ das Publikum sie schweren Herzens gehen. Auch auf dem Konzert ließ sich eine unglaubliche Heterogenität des Publikums ausmachen, die den Kirchentag wirklich einmalig macht.
Generell sind junge und alte Menschen gleichermaßen vertreten. So etwas erlebt man wirklich selten. Mit dem Konzert endete dann auch mein erster voller Tag auf dem Kirchentag und ich habe mich am Ende wirklich gefreut, ins Bett gehen zu können.
Freitag
Der Freitag begann mit einem Problem: Ich konnte meinen ersten Programmpunkt „Das wird man wohl noch sagen dürfen – Israel und wir“ nicht in voller Länge wahrnehmen. Ich verpasste den ersten Redebeitrag des stellvertretenden Außenministers von Tschechien, der über die Haltung Tschechiens und die Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und Tschechien berichtete. Er ließ auch eigene persönliche Erfahrungen in seine Darstellung mit einfließen.
Der zweite Redebeitrag, den ich zum Glück in voller Länge mitbekommen habe, kam von Yariv Lapid, dem pädagogischen Leiter der Gedenkstätte Mauthausen. Er berichtete auf sehr persönliche Art davon, dass er als Israeli seit einiger Zeit existenzielle Ängste habe. Israel stehe zwar an vierter Stelle der meistbewaffneten Staaten, aber er bemerke, dass die Abneigung gegenüber der israelischen Politik in Europa und auch in Deutschland immer weiter wachse. Dadurch bekomme er als Israeli das Gefühl, dass Israel im schlimmsten Fall als Staat gar nicht mehr gewünscht sei. Viele Israelis trauten den Europäern nicht recht. Es seien die Amerikaner, auf die man sich verlassen könne. Er begründete dieses Misstrauen vor allem mit dem geschichtlichen Hintergrund. Juden seien, besonders zu Anfang des 20. Jahrhunderts, in ganz Europa nicht gerne gesehen und ausgegrenzt worden. Sie hätten gezeigt, dass sie sich so gut wie möglich hätten anpassen können, seien aber trotzdem nicht vollkommen akzeptiert worden. Das Problem des israelischen Staates bestehe darin, dass er seiner Meinung nach nicht rational handele. Das ganze Volk sei noch traumatisiert von den Ereignissen des letzten Jahrhunderts. Auch vor der Politik machten Existenzängste immer noch nicht halt. Diese Ängste begründeten auch die ständige Aufrüstung Israels. Die Menge an Waffen gebe den Israelis die Sicherheit, nach der sie sich sehnten. Ein weiteres Problem für Lapid ist, dass Israel nicht auf Ratschläge von außen höre. Da das Misstrauen Europa gegenüber viel zu groß sei, sagten sich die Israelis, könne ihnen die EU so viele Ratschläge geben, wie sie wolle. Wirklich darauf hören würden sie nicht. Und gerade dies sei fatal in Bezug auf die Beziehung zwischen der EU und Israel. Er hoffe sehr, dass sich das ändern lasse. Ganz schockierend war für ihn ein Erlebnis beim letzten Kirchentag im Köln. Dort sollten die Besucher aufschreiben, was sie über Israel denken. Hier zeigte sich deutlich die Abneigung vieler Deutscher gegenüber der israelischen Politik. Diese geballte Kritik und die vereinzelten Angriffe hätten ihn sehr geschockt, und er bat das Publikum um Hilfe, da er selber nicht mehr wisse, was er von solchen Kommentaren halten solle.
Dies war schließlich auch die Überleitung in eine Diskussion, die das Publikum zuerst mit den jeweiligen Sitznachbarn und nach zehn Minuten laut führen sollte. Der Moderator hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es hier um die persönlichen Gefühle und Meinungen zum Thema Israel gehen sollte und nicht um politische Diskussionen. Dies wurde in den meisten Fällen nicht eingehalten, sodass die darauf folgenden Kommentare im großen Plenum durchweg politisch waren. Damit war die eigentliche Fragestellung verfehlt.
Darüber hinaus gab diese Veranstaltung auch keine befriedigenden Antworten auf die Fragestellung, die in ihrem Titel versprochen werden. Das einzige Statement zum eigentlichen Thema kam von einem Mann aus dem Publikum, der forderte: „Man soll nicht als Antisemit bezeichnet werden, nur weil man Israel kritisiert.“ Insgesamt war diese Veranstaltung weniger aufschlussreich, als ich zu Anfang gedacht hatte.
Am Nachmittag bin ich zum Messegelände gefahren, um mir den Markt der Möglichkeiten anzuschauen. Hier gibt es von allen möglichen Organisationen, Gruppen und Parteien Stände, an denen sich die Besucher informieren können. Besonders interessant für mich waren die verschiedenen Bildungswerke, die an Studierende Stipendien verteilen. Einen großen Stand gab es auch von Bethel, an dem die Besucher an verschiedenen Spielen teilnehmen konnten, bei denen selbst gemachte Karten aus Bethel zu gewinnen waren. Ohnehin konnte man sehr vielen Ständen Preise gewinnen oder Werbegeschenke mitnehmen. Besonders toll war die Idee des „Bundesverbandes der deutschen Tafel“. Hier bekam man umsonst Getränke und Äpfel. Wenn man wollte, konnte man eine kleine Spende hinterlassen, was auch so gut wie jeder getan hat. Da es sehr heiß war, tat die Erfrischung wirklich gut. Interessant waren auch die vielen Stände mit verschiedenen Büchern zu allen möglichen christlichen Themen. Ich fand den Markt der Möglichkeiten sehr aufschluss- und lehrreich. Allerdings habe ich oft von anderen Menschen gehört, dass die Anlage viel zu unübersichtlich sei.
Nachdem ich den ganzen Nachmittag auf dem Messegelände verbracht hatte, bin ich am Abend zu dem Konzert von Aura Dione gefahren. Schon sehr früh war die Wiese vor der Flutrinnen-Bühne voll. Viele, vor allem junge, aber auch vereinzelt ältere Menschen saßen auf dem Rasen und haben die schon tiefer sinkende Sonne genossen, die die Wiese mit einem rot-goldenen Licht beschien.
Als erster Akt trat vor Aura Dione Andreas Bourani aus Berlin auf, der mit seiner Single „Nur in meinem Kopf“ bekannt geworden ist. Schon während seines zweiten Liedes fingen die Menschen auf der Wiese an zu tanzen, und eine recht große Gruppe tanzte spontan einen Gruppentanz und hörte damit auch nicht auf, als schließlich Aura Dione in einem schrillen Outfit auf die Bühne kam. Die gute und ausgelassene Stimmung des Publikums hielt bis zum Ende des Konzerts an. Viele verließen danach singend die Wiese und sangen noch in den überfüllten Bahnen weiter.
Samstag
Den Samstag begann ich mit einer Bibelarbeit des sehr bekannten Kabarettisten Dr. Eckhart von Hirschhausen zum Bibeltext Matthäus 6,19-34. Aus diesem Abschnitt stammt auch die Losung des diesjährigen Kirchentages „… da wird auch dein Herz sein“ (Matthäus 6,21).
Die Hauptaussage des Bibeltextes könnte man nach von Hirschhausen auch folgendermaßen pointiert zusammenfassen: „Geld ist doof.“ Wegen dieser viel zu einfachen Auslegung ging von Hirschhausen den Text nun chronologisch durch und gab seine eigenen Deutungen, Einschätzungen und Kommentare zum Besten. Interessant war sein Anspruch, die Bibeltexte mit dem heutigen Stand der Psychologie zu vergleichen und die Überschneidungen darzustellen.
In der aktuellen Bibelstelle geht es vor allem um den Wert von irdischen und himmlischen Schätzen. Eine von ihm bevorzugte Definition lautet: „Reich ist der, der weiß, dass er genug hat.“ Glück und Reichtum gehen also nicht immer Hand in Hand, und auch ein Mensch mit wenig Geld kann sich so glücklich fühlen. Interessant zu wissen ist, dass früher das Herz nicht nur ein Symbol für Gefühle, sondern auch das für den Verstand war. Die Bibelaussage, dass man sein Herz nicht an Dinge hängen soll, die vergänglich sind, verdeutlicht, dass wir unser Geld nicht etwa in ein neues Auto, sondern vielmehr in etwas investieren sollten, was uns dauerhaft glücklich macht.
Das Thema Glück zog sich durch den ganzen Vortrag. Das größte Glück erfahre ein Mensch, wenn er mit anderen zusammen sei oder wenn er die Möglichkeit habe, etwas zu lernen, was ihm Spaß macht. Dies sei auch psychologisch bewiesen. Das sei auch die Begründung, warum wir lieber in Bildung und Freundschaft und nicht in ein neues Auto investieren sollten, denn meistens wolle man damit nur zeigen, wie reich man selbst ist. Im Grunde mache Reichtum die Menschen unsozialer, weil er sie denken lasse, dass sie viel weniger abhängig von anderen Menschen seien. Geld verändere also das Bewusstsein, die Gefühle und die Wahrnehmung der Menschen. Der Mensch müsse sich entscheiden, welchem der „zwei Mächte“ (Matthäus 6,24) er dienen wolle, dem Geld oder dem Glück und Gott. Insgesamt wurde deutlich, dass der Bibeltext sehr gut zu unserer heutigen Lebenssituation passt.
Zum Ende hin gab von Hirschhausen drei Ratschläge, wie man mit seinem Geld umgehen sollte. Am besten investiere man in Fähigkeiten, denn das seien Dinge, die einem nicht bei einem Hausbrand oder einer Wirtschaftskrise verloren gehen könnten. Wenn man zusammen eine Weltreise mit seinen Freunden unternommen hat, nähmen die guten Erinnerungen immer mehr zu, je länger sie zurücklägen, während ein neues Auto täglich an Wert verliere. Dementsprechend sollten wir unser Geld in gemeinschaftliche Aktionen investieren, da wir durch Kontakt mit Menschen viel glücklicher würden. Zudem sei es oft ein gutes Gefühl, Geld für andere auszugeben. So bekämen wir Schätze, die man nicht im Supermarkt kaufen könne und die für immer seien. Also Schätze nicht mehr irdischer, sondern himmlischer Art.
Nach dem Ende der Vorstellung gab es tosenden Applaus. Die Halle (Menschen, die nicht mehr hineingekommen waren, konnten die Veranstaltung draußen per Live-Übertragung verfolgen) war bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, und an vielen Stellen wurde herzlich gelacht. Die meisten Menschen gingen fasziniert und bereichert aus der Vorstellung heraus.
Gleich darauf folgte in der schon doch etwas stickigen Halle eine Diskussion über den Weg zu einer neuen Weltordnung mit unserer Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, und dem ehemaligen Präsidenten von Ghana. Merkel sprach verschiedene Punkte an. Für sie sei es dringend notwendig, dass mehr afrikanische Länder in den UN-Sicherheitsrat kämen. Zudem sprach sie sich für eine UN-Umweltorganisation aus, die man dann in Afrika einrichten könnte. Vor allem Frankreich und Deutschland setzten sich dafür ein. Des Weiteren forderte die Bundeskanzlerin, dass man eine neue Definition von dem Begriff „Wirtschaftswachstum“ finde. Heutzutage gebe es mehr Faktoren als nur das Bruttoinlandsprodukt. Auch der Klimawandel oder der Verbrauch von Ressourcen müssten von nun an mit einbezogen werden.
In Bezug auf die Frage der nordafrikanischen Flüchtlinge nach Europa stimmte die Kanzlerin zu, dass man Menschen, die verfolgt würden, natürlich aufnehmen müsse und werde. Man könne aber nicht verantworten, Menschen aufzunehmen, die nicht konkret in Lebensbedrohung stünden. Hier müsse man eher versuchen, die Verhältnisse z. B. in Tunesien zu verbessern, um Menschen dort dann die Möglichkeit zu bieten, in ihrem eigenen Land zu leben.
Zum Schluss sagte sie, dass wir den andern Religionen auf der Welt die Hand reichen sollten, aber andersherum auch darauf bestehen müssten, dass in Ländern, in denen christliche Minderheiten leben, diese nicht weiter diskriminiert werden. Nach dieser Veranstaltung waren die meisten Menschen erleichtert, die mittlerweile sehr stickig gewordene Halle verlassen zu können. Leider war es draußen auch nicht viel kühler, da die Mittagssonne heiß vom Himmel schien. Viele suchten Schutz im Schatten und man sah schon viele sonnenbrandrote Gesichter und Schultern. Die Bahnen waren wie immer überfüllt und fast allen machte die Hitze zu schaffen.
Trotz der Wärme und der Enge blieben aber alle freundlich und ruhig. Wahrscheinlich wäre Aufregung auch einfach zu anstrengend gewesen.
Am Abend besuchte ich schließlich das groß angekündigte Musical „Die 10 Gebote“. Hier wurde die Geschichte nacherzählt, in der Gott das Volk Israel durch Mose aus der Gefangenschaft Ägyptens führt. Die Besetzung war sehr prominent, unter anderem hatten Monrose-Sängerin Bahar sowie der Musical-Star Michael Einsenburger Hauptrollen übernommen. Spektakulär war außerdem der riesige Chor, der aus 2555 Sängerinnen und Sängern aus ganz Deutschland bestand.
Das Musical kam bei dem Publikum gut an, viele klatschten bei den Liedern mit.
Sonntag
Der Sonntag war der Tag der Abreise, doch bevor wir wieder zurück nach Bielefeld gefahren sind, haben wir noch den großen Abschlussgottesdienst an der Elbe besucht. Hier wurde bekannt gegeben, dass täglich ca. 140.000 Menschen auf dem Kirchentag gewesen waren – bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass eigentlich mit nur 100 000 Menschen gerechnet worden war. Der Gottesdienst war gut besucht, sodass man eng an eng sitzen musste, um wenigstens die Leinwand sehen zu können. Trotz der Enge und der Hitze schafften es manche Teilnehmer, nach Aufforderung zu einigen Liedern Samba zu tanzen. Die Predigt appellierte an uns, dass wir nicht auf das Reich Gottes warten, sondern uns selber anstrengen sollten, die Welt zu verbessern. Deutschland als Staat sei sicherlich noch entfernt, mit dem Reich Gottes verglichen zu werden, aber wenn wir uns bemühten, Alternativen zu finden, dann würden wir vielleicht eine Ahnung davon bekommen. Die Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt rief die Menschen dazu auf, sich in die Politik einzumischen, damit vernünftige Entscheidungen getroffen würden, z. B. in Bezug auf die Atom- und auch auf die Flüchtlingspolitik in Deutschland. Wir Christen seien keine reinen Wutbürger und auch keine Gutmenschen, sondern das gesunde Mittelmaß. Wie sie zu Anfang des Kirchentages schon gefordert hatte, sollten wir miteinander über die momentanen Probleme reden, und auch nach dem Kirchentag nicht damit aufhören, sondern versuchen, Verantwortung zu übernehmen.
Nach dem Gottesdienst sind wir schließlich nach Bielefeld zurückgefahren. Alle Leute im Bus waren sehr müde, aber glücklich. Neben der Müdigkeit machte uns bald eine große Hitze zu schaffen, da in unserem Bus die Klimaanlage nicht funktionierte. Schließlich kamen wir acht Stunden später verschwitzt und erschöpft in Bielefeld an.
Trotzdem sind sich alle einig, dass der Kirchentag ein tolles Erlebnis war, und alle nahmen sich fest vor, in zwei Jahren auf den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag nach Hamburg zu fahren.
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