Bericht von einer Tagung am Goethe-Institut Kairo

Metro in KairoEnglisch in der Grundschule, Französisch ab Klasse 6 und Spanisch ab Klasse 8 – hinzu kommt häufig eine weitere Herkunftssprache als Deutsch. Ist das nicht zu verwirrend für ein Kind?

Ich behaupte, dass das Kind, noch bevor es begonnen hat, Englisch zu lernen, bereits ein Sprachlernprofi ist! Es ist handlungsfähig in zwei Sprachen und kennt viele Strategien, sich etwa die Bedeutung von Wörtern und Ausdrücken zu erschließen. Außerdem kennt es Begrüßungsrituale im Deutschen und – sagen wir einmal – Polnischen, hat also eine interkulturelle Kompetenz. Vergleichbare Sprachlernsituationen existieren auch in Marokko, wo so gut wie alle Schulkinder mit der französischen und der arabischen Sprache und einige auch mit dem Berberischen aufwachsen und auf Französisch und Arabisch in der Schule unterrichtet werden. Wie gehen die unterschiedlichen Länder mit diesem Reichtum an Sprachkenntnissen ihrer Jugend um?

Goethe-Institut Kairo Die Kairener Sommerakademie vom 21.06. bis 03.07.2008 gab mir Gelegenheit, mit 20 Kollegen und einigen Sprachlernforschern aus Ägypten, Marokko, Tunesien und Deutschland die europäischen Forschungsergebnisse der Spracherwerbsforschung zu diskutieren und Umsetzungsmöglichkeiten für methodisch-didaktische Konzepte in Europa und den arabischen bzw. maghrebinischen Staaten weiterzuentwickeln. Dabei standen die folgenden Fragen im Mittelpunkt: Wie kann der Sprachunterricht mit mehr als einer Fremdsprache organisiert werden? Wo steht Deutsch in der globalen Diskussion um Mehrsprachigkeit?

Teilnehmende der Sommerakademie In Europa ist Mehrsprachigkeit aller Bürger erklärtes Bildungsziel. In der Muttersprache und zwei weiteren europäischen Sprachen sollte jeder Bürger handlungskompetent sein. Kulturelle Inhalte sowie Spracherwerbsstrategien werden dabei mit jeder Sprache erworben, sei es Friesisch oder Spanisch. Sie erleichtern den Erwerb jeder weiteren Sprache. Dies belegen Untersuchungen der Spracherwerbsforschung u. a. an den Universitäten Darmstadt, Basel und Neuchâtel.

Um die europäische Mehrsprachigkeit zu verwirklichen und die bereits vorhandene Mehrsprachigkeit vieler Jugendlicher in Europa zu stärken, werden an europäischen Schulen verschiedene inhaltliche, methodische und didaktische Wege gegangen.

Im bilingualen Sachfachunterricht werden etwa historische Ereignisse in einer anderen als der Landessprache angeboten. Neben der Erweiterung der sprachlichen Kompetenz erfahren die Lerner ebenfalls eine weitere inhaltliche Deutung des Geschehenen in der jeweiligen nationalen Geschichtsschreibung.

Europaschulen arbeiten mehrsprachig und interdisziplinär mit ihren europäischen Partnerschulen an Projekten, wie beispielsweise dem Thema ‚Brücke’. Das europäische Portfolio der Sprachen ist ein Instrument, um sprachliche Kompetenzen in einem international vergleichbaren Rahmen zu beschreiben. Außerdem dokumentiert es, auf welchem Niveau jemand in einer Sprache schreiben, sprechen und lesen kann und wie gut er gesprochene Sprache versteht.

Der Sprachunterricht am Ceciliengymnasium orientiert sich schon seit einigen Jahren am europäischen Referenzrahmen und wir haben einen mehrsprachigen Sprachunterricht Englisch/Französisch in Klasse 5 bereits erprobt, unterstützt durch eine enge Kooperation mit unserer Partnerschule, dem Collège-lycée La Malgrange in Nancy (Frankreich). Unsere europäischen Projekte in der Musik mit dem Miina-Härma-Gymnasium in Tartu (Estland) belegen eine erfolgreiche mehrsprachige inhaltliche Arbeit im europäischen Rahmen.

Für die Etablierung einer mehrsprachigen Klasse stehen didaktisch-methodische Konzepte bereit wie etwa das europäische Portfolio der Sprachen als Lernbegleiter der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler.

Pyramidenplateau von Giza Aus der Kairener Sommerakademie nehme ich neben vielen Ideen zur Verwirklichung eines mehrsprachigen Sprachunterrichts auch viele Erinnerungen an Begegnungen mit ägyptischer Kultur aus Vergangenheit und Gegenwart, den Kollegen und deren Schulalltag mit nach Hause. Ein solcher Perspektivwechsel lässt die eigenen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen mitunter als paradiesisch erscheinen.