Stadttheater startet im neuen Jahr mit der Premiere von „Tartuffe“

Nach wenigen Minuten das erste Lachen aus dem Publikum und das, obwohl das Stück eigentlich noch gar nicht richtig begonnen hat. Die Begeisterung der Zuschauer in der beinahe ausverkauften Premiere von Molières Komödie „Tartuffe“ am Freitag den 16.01.2009 im Bielefelder Stadttheater ist groß. Denn herzliches Lachen sowie minutenlanger Applaus am Ende sind wohl die besten Indizien nicht nur für eine gute Komödie, sondern auch für eine gelungene Inszenierung.

Tartuffe ist ein Betrüger der besonders durchtriebenen Art: unverschämt dreist, heuchlerisch und leider äußerst überzeugend. Zumindest überzeugt er Orgon, einen reichen Pariser Bürger, der – geblendet von scheinheiliger Frömmig- und Selbstlosigkeit – den Schmarotzer bei sich aufnimmt, ihm absolutes Vertrauen schenkt und somit sich und seine Familie in den offenbar unvermeidlichen Ruin treibt. Obwohl seine ganze Familie Tartuffe bereits durchschaut hat und versucht, Orgon die Augen zu öffnen, stellt dieser sich weiterhin schützend vor seinen Gast: der Sohn wird verstoßen und enterbt, die Tochter an Tartuffe versprochen und am Ende steht schon der Gerichtsvollzieher vor der Tür, als Orgon endlich die Wahrheit erkennt.

Die Uraufführung des molièreschen Originals war zwar bereits 1664 und das Stück wurde seitdem zweimal von Molière überarbeitet, um auf dem Spielplan bleiben zu dürfen, aber der Stoff ist zeitlos. Die durchaus moderne Inszenierung von Matthias Kaschig wirkt weder erzwungen noch unpassend. Sie zwängt das Stück nicht in die Gegenwart, sondern überträgt es vielmehr in einen von der Zeit losgelösten Rahmen, den auch das Original hergibt.

Da mit einem statischen Bühnenbild, wenigen aber gezielt eingesetzten Licht- und Musikeffekten und nur spärlichen Requisiten gearbeitet wird, treten Handlung und schauspielerische Leistung besonders in den Vordergrund.

Das von Jürgen Höth kreierte Bühnenbild ist schlicht und unaufdringlich. An der Rückwand der Bühne befindet sich links eine Treppe, die zu einer Galerie auf der halben Höhe der Gesamtbühne führt, an deren Rückwand eine große stilisierte Weltkarte zu sehen ist. Diese Galerie dient, wie auch die Treppe rechts von der Bühne herunter erstens zur Ausnutzung des gesamten Raums und zweitens zum Aufbau unterschiedlicher Spannungsebenen zwischen den Personen. Unter der Galerie befindet sich eine angedeutete Hauswand und in der Mitte ein silberner Ofen dessen Existenz erst ganz am Ende begründet wird.

Die Kostüme von Stefanie Klie spiegeln in stark überzogener Weise die von Molière typisierten Charaktere wider. Dadurch werden die Figuren und ihr Handeln ins Lächerliche gezogen, aber die Verständlichkeit der ohnehin nicht komplizierten Hauptaussage noch unterstützt.

Fraglich ist nur, inwieweit die kindisch-naive Darstellung der Kinder Orgons, Mariane und Damis, sowohl in Bezug auf die Kostüme als auch auf die Ausarbeitung des Verhaltens, gerechtfertigt ist, da doch beide bereits erwachsen sind.

Der Text basiert auf der deutschen Übersetzung von Wolfgang Wiens, enthält aber einige geschickt eingebaute, kritisch-spitzfindige Passagen, in denen sich Stefan Imholz, der Cléante, den Schwager Orgons mit dem analytischen Verstand spielt, über die derzeitige Finanzkrise und die betrügerischen Machenschaften der Bankmanager auslässt und so versucht, Orgon zur Vernunft zu bringen.

Dadurch wird der aktuelle Bezug dieses Stückes nur allzu deutlich herausgestellt. Wie leicht lässt sich der Mensch blenden, wenn man ihm verspricht, er könne nur so sein Ziel des besseren Lebens, des Glücks, oder des Reichtums erlangen und wie leicht haben es Betrüger durch diese Anfälligkeit zu blindem Vertrauen.

Die Spielweise der Schauspieler ist durchweg überzeugend. Thomas Wolff in der Rolle des Hausherren Orgon unterstreicht mit verklärtem Blick dessen Weltvergessenheit und schafft es, durch gekonnte Ausarbeitung der Orgon innewohnenden Ambivalenz – meditative Gelassenheit und Cholerik, sobald seine Familie sich ihm widersetzt – das Publikum durch dessen lächerliches Verhalten zum Lachen zu bringen.

Tartuffe wird von Alexander Swoboda gespielt. Als schauspielender Schauspieler hat er die komplexeste Rolle: von religiöser Demut und Selbstbeschuldigung, über arrogante Herablassung und Unsittlichkeit in vollendeter Form bis hin zum wahnsinnigen Lachen in Ekstase ob seines geglückten Plans deckt Swoboda alles wunderbar glaubwürdig ab.

Carmen Priego gibt die selbstbewusste Ehefrau Elmire, die, empört über ihren Mann, teilweise recht aggressiv wirkt. Nils Zapfe und Claudia Mau übernehmen die Rollen der pubertierenden Kinder der Familie.

Fazit: eine sehenswerte Gesellschaftskritik – zeitlos und gleichzeitig von höchster Aktualität.