Theater Bielefeld präsentiert Goethes Trauerspiel „Clavigo“ in moderner Zeit in ungewohnten Perspektiven

Der Schock kennzeichnet nicht nur so manches Schauspielergesicht, nein, auch das Publikum hält den Atem an. Diesen Winter rückt das Grauen aus Zweifeln und Wahnsinn in das Theater am alten Markt (TAM) ein. Dort wird aus poetischem Klassiker erschreckende Umsetzung. Eine tragische Geschichte aus dem Konflikt zwischen Karriere und Liebe steht bevor.

Wie verwirrend auch zunächst die Situation scheint, so einfach ist sie doch eigentlich gehalten. Der überaus erfolgreiche Dichter Clavigo (Alexander Swoboda) hat sich mit seiner Entscheidung gewiss noch nicht angefreundet. Doch es ist zu spät. Auf den Rat seines Freundes Carlos (Johannes Lehmann) hin, hat er seine große Liebe Marie (Silvia Weiskopf) fallen lassen. Ab diesem Zeitpunkt gerät sein Leben bedrohlich aus den Fugen. Seine Texte verlieren an Leidenschaft und Authentizität. Auch seiner Geliebten ist die Trennung sichtlich nicht bekommen. Gedemütigt ist sie in aller Öffentlichkeit. Kreidebleich, die Haarpracht unter schroffer Perücke versteckt, sucht sie Zuflucht und kapselt sich von der Außenwelt ab. Ihre Schwester Sophie Guilbert (Julia Friede) versucht Haltung zu bewahren, doch als der erzürnte Bruder Beaumarchais (John Wesley Zielmann) erscheint, gibt es kein Halten mehr. Rache für Marie schwört er und tritt seine Reise an, den verhassten Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen.

Mit einfachen Mitteln, wie pergamentverkleideten Wänden und etwas schwarzer Farbe, die unwillkürlich an das Papier gekritzelt wird, sticht dem Zuschauer ein erdrückendes Bühnenbild mit geschickt ineinanderfließenden Ortswechseln ins Auge. So auch, als der Bruder und Rächer Beaumarchais den nichts ahnenden Clavigo auf beeindruckende und zugleich brutale Weise zwingt, ein Geständnis über den Frevel an seiner Schwester zu unterschreiben.

Keinesfalls wirkt diese Inszenierung veraltet, zumal die Schauspieler auch in gedeckter Alltagskleidung erscheinen. Doch auch als Clavigo einen Pakt mit dem Bruder abschließt, dass, sollte Marie ihn immer noch lieben, er den Artikel nicht druckt, wirkt die lautstarke Auseinandersetzung nicht annähernd so emotional wie das Treffen der beiden, gefolgt von einem erneuten Antrag. Jedoch genau wie beim letzten Mal funkt Carlos dazwischen. Er erreicht so auch, dass sich sein Freund eingesteht, dass Marie nicht mehr in seinem Herzen regiert. Daraufhin hintergeht er sie aufs Neue und bringt dieses Mal das Fass zum Überlaufen. Verhalten angedeutet verbleibt ihr Tod. Zerfallen in dem Gebilde aus Lügen und Unentschlossenheit erfüllt zuletzt der Wahnsinn Clavigos Gedanken.

In herben Klängen, von Rock übertönt, richtet sich der Poet zugrunde. Hierzu treten die Scheinwerfer im Hintergrund, die zuvor noch durch Papier verborgen waren, zum Vorschein und Buchstaben aus Licht erfüllen den Raum. Das langatmige Theaterstück mag für manchen nicht geeignet sein. So applaudierte das Publikum eher verhalten. Mit anstrengenden 90 Minuten ist es mehr als Kunstwerk, denn als eine leichte Abendunterhaltung zu sehen.

Für alle Interessenten sind weitere Vorstellungen ab Februar 2010 zu sehen (03.02, 04.02, 24.02, 25.02, 03.03, 04.03, 05.03, 06.03.2010).